Fertigungsplanung: Die richtige Ressource zur rechten Zeit

von Ingo Steinhaus

Wofür Mathematiker komplizierte Gleichungssysteme brauchen, lässt sich mit einer Alltagssituation veranschaulichen: Ein Barkeeper hat ein paar Flaschen mit diversen Spirituosen und kann daraus drei verschiedene Cocktails zu unterschiedlichen Preisen mixen. Die mathematische Aufgabe lautet nun, anhand der Rezepte mit fest vorgeschriebenen Mengen und den vorhandenen Rohstoffen möglichst hohe Einnahmen für die Bar zu erzielen.

Eine andere Geschichte dreht sich um drei Studenten in einer WG. Sie suchen einen neuen Stromanbieter. Da nicht immer alle gleichzeitig anwesend sind, hat die WG einen schwankenden Bedarf. Die Stromanbieter bieten unterschiedliche Tarife: Der eine kassiert nur nach Verbrauch, der zweite hat einen Grundpreis und der dritte gestaffelte Preise. Gesucht ist der billigste Anbieter für eine gewisse Verbrauchsspanne.

Wenn sich Mathematiker mit solchen Problemen beschäftigen, geht es um Lineare Optimierung. Anders ausgedrückt: Es geht darum, Ressourcen möglichst sinnvoll und gut geplant zuzuordnen. Diese Aufgabe kommt in der Wirtschaft häufig vor.

Produktionsplanung mit Daumenregeln

Fabriken beispielsweise haben bestimmte Mengen an Rohstoffen auf Lager, die möglichst optimal auf mehrere Produkte verteilt werden müssen. Und zwar unter Berücksichtigung des Bestelleingangs, der Kapazitäten der Fertigung und des Lagers sowie der Geschwindigkeit, in der Nachschub geliefert und fertige Ware abgeholt werden kann.

In der Wirklichkeit geht es nicht nur um ein paar wenige Variablen wie bei dem Barkeeper. Es geht beispielsweise um ein Unternehmen, das hunderte oder tausende von Produkten herstellt, für die zunächst zahlreiche Vorprodukte produziert werden müssen. Dann sind auch noch Rohstoffe zu berücksichtigen, die für verschiedene Produkte in unterschiedlicher Menge benötigt werden.

Ist effiziente Produktionsplanung unter diesen Umständen ein Höllenritt? Ohne IT-Unterstützung auf jeden Fall. Es ist kaum möglich, eine solch komplexe Planungsaufgabe anhand von Erfahrungswissen, Daumenregeln und Ad-Hoc-Entscheidungen optimal zu erfüllen.

Es wird immer irgendwo zu viel oder zu wenig Rohmaterial geben, Maschinen werden überlastet oder unterfordert sein, Produkte werden verspätet fertig oder bis zur Auslieferung zu viel Lagerplatz belegen. Und leider haben die Einzelprobleme Auswirkungen auf andere Fertigungsstränge in der Fabrik.

Zwei Jahre schrumpfen auf eine Sekunde Rechenzeit

Solche Aufgaben sind das Spezialgebiet der angewandten Mathematik und gehören zum Fachgebiet des Operations Research. Für die Optimierung von Produktionsprozessen oder der Lagerhaltung werden Algorithmen zur Lösung von Linearen Programmen eingesetzt. So heißen die komplizierten und sehr umfangreichen Gleichungssysteme in der Mathematik.

Dabei sind heutzutage dank der immer besser werdenden Softwaretechnologie fast unheimlich erscheinende Leistungen möglich. In den vergangenen Jahren hat sich die Leistungsfähigkeit der Algorithmen zur Linearen Optimierung grob um den Faktor 55.000 erhöht (MIPLIB 2010, Fig. 2 a). In der gleichen Zeit ist die Computer-Hardware "nur" etwa um den Faktor 1.200 schneller geworden.

Im Ergebnis können Lineare Programme heute rund 66 Millionen Mal schneller gelöst werden als noch vor zwanzig Jahren. Zur Veranschaulichung: Eine Planungsaufgabe, deren Lösung in den frühen 1990er Jahren noch eine Rechenzeit von rund zwei Jahren (66 Mio. Sekunden) erfordert hätte, lässt sich heute in einer Sekunde lösen. Eine unglaubliche Entwicklung.

Dadurch haben sich völlig neue Anwendungsfelder erschlossen. Viele Probleme aus der Produktionsplanung und verwandten Bereichen der Betriebswirtschaft waren vor wenigen Jahren nicht ohne weiteres lösbar. Unternehmen müssen heute weniger mit den den erheblichen Reibungsverlusten von improvisierten Entscheidungen leben, sondern können ihre Ressourcen effizient einsetzen.



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Über den Autor

  • Ingo Steinhaus arbeitet seit 1991 als Freier IT-Journalist. Er ist Autor zahlreicher Computerbücher und veröffentlicht in bekannten Fachzeitschriften. Sein Interesse gilt allen technischen und digitalen Themen, vor allem digitaler Transformation, Innovation und Entrepreneurship. Diesen Themen widmet er sich auch in seinem Blog "Digital Heartland"

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