Smarte Inventur-Saison: Zählen Sie noch oder schätzen Sie schon?

Wichtige Entscheidungen zu treffen, kann Druck auf die Entscheidungsträger ausüben, erst recht, wenn viel Geld auf dem Spiel steht. Das wissen beispielsweise auch Kontrahenten von TV Game-Shows, die mit einer falschen Antwort ihre Chance auf das erhoffte Vermögen schnell verspielen können. Viel Erfahrung und ein großes Allgemeinwissen sind sicherlich hilfreich, um gute Entscheidungen zu treffen, doch manchmal trotzdem nicht ausreichend, wie im folgenden Video zu sehen ist:
Hätten die beiden Gegner einfach alle Äpfel in der Schale zählen können, dann hätten sich die Fernsehzuschauer vermutlich gähnend abgewendet, aber das Ergebnis wäre zu 100% korrekt gewesen: 96 Äpfel - oder? Wie hoch glauben Sie, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich doch einer der beiden Spieler verzählt hätte (natürlich nach Game-Show-Prinzip unter entsprechendem Zeitdruck)? Ich halte das für nicht unwahrscheinlich, denn auch beim Zählen passieren Fehler. Dieses Problem wird zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr ganz besonders deutlich, nämlich bei der Inventur. Wäre es nicht schön, den Zählaufwand im Lager durch einfaches Schätzen drastisch zu verkürzen? Führt man sich die Differenz zwischen der geschätzten Anzahl Äpfel und dem richtigen Ergebnis im Spiel vor Augen, dann wird klar, dass man seine Mitarbeiter nicht einfach so von Zählen auf Schätzen umstellen kann. Das Schätzen wird nur dann eine Alternative zu einer körperlichen Vollaufnahme, wenn auf das Ergebnis auch Verlass ist. Genau hier setzen intelligente Systeme an.
Wann können Schätzverfahren bei der Inventur eingesetzt werden?
Die herkömmliche Methode für die Inventur, die Vollaufnahme bei einer Stichtagsinventur, hat mit Schätzen erst einmal nichts zu tun. Hier müssen innerhalb von zehn Tagen vor und nach einem gewählten Abschlussstichtag alle gelagerten Positionen einzeln körperlich erfasst und mit dem Sollbestand des Warenwirtschaftssystems verglichen werden. Doch bei dieser Vollaufnahme entstehen hohe Kosten: Mitarbeiter müssen häufig aus unterschiedlichsten Abteilungen mobilisiert werden. Kostentreibend sind hierbei aber nicht nur das Gehalt, welches ohnehin anfällt, sondern auch unumgängliche Überstunden. Nicht zu vergessen ist, dass die Mitarbeiter ihren eigentlichen Aufgaben nicht nachgehen können. Nach dem Zusammentragen aller Zählergebnisse der mehr oder weniger freiwilligen Helfer, bleibt oftmals eine große Differenzliste bestehen und es ist schwer nachzuweisen, ob alle Beteiligten zuverlässig gezählt haben. Außerdem sind Lagerschließungen und Auslieferungsstopps nur zwei von vielen weiteren Konsequenzen.
Für eine effiziente wie flexible Inventur kommt - ein gut funktionierendes Warenwirtschaftssystem vorausgesetzt - auch eine verlegte oder permanente Inventur in Frage, bei denen sich die Zählung ebenfalls immer noch über den Gesamtbestands erstreckt, jedoch über längere Zeiträume verteilt erfolgen kann. Der Zeitaufwand für die Inventur ist aber letztendlich gleichbleibend hoch.
Es gibt allerdings noch eine weitere, gesetzlich zugelassene und von Wirtschaftsprüfern anerkannte Methode: die Stichprobeninventur. Inventurkostensenkungen um bis zu 95 Prozent sowie eine Reduzierung des Zählaufwands um bis zu 99,9 Prozent sind zwei der wesentlichen Vorteile, auf die sich Inventurverantwortliche freuen können, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Das Lager muss über mindestens 1.000 Positionen verfügen und mit einem IT-gestützten System zur Bestandsführung nach Art, Menge und Wert einheitlich geführt sein. Außerdem sollte die Differenz zwischen Buch- und Ist-Wert bei der letzten Vollerhebung nicht mehr als zwei Prozent betragen. Ist dies gegeben, steht dem effizienten Verfahren nichts mehr im Weg.
Schätzen hat sich in der Praxis bewährt
Und so funktioniert die Stichprobeninventur: Das bei dieser Art der Inventur in der Regel angewandte Schätzverfahren macht sich das "Pareto-Prinzip" zunutze, demzufolge 20 Prozent der Waren in einem Lager ungefähr 80 Prozent des gesamten Warenwerts ausmachen. Darauf basierend müssen Unternehmen in der Praxis nur noch 5 bis 10 Prozent des gesamten Bestandes voll erfassen, deren Wert zusammengenommen etwa der Hälfte des gesamten Lagerwerts entspricht. Die verbleibenden 90 bis 95 Prozent teilt das System je nach Wert in Schichten ein, aus welchen nach dem Zufallsprinzip Stichproben gezogen werden. Die Inventurergebnisse aus diesen Schichten sind die Grundlage für die anschließenden Hochrechnungen, mit denen sich der Gesamtwert der jeweiligen Schicht erschließen lässt. In Kombination mit den Ergebnissen des Vollaufnahmebereichs ergibt sich das vollständige Inventurergebnis, welches häufig präziser als bei der regulären Vollinventur ist.
Doch neben der Senkung des Aufwands und den genaueren Ergebnissen bietet die Stichprobeninventur noch weiteren Nutzen. So kann das Lager auch während der Inventur größtenteils geöffnet bleiben, nur die jeweilige Position, die gerade gezählt wird, darf nicht bewegt werden. Je nach Bedarf kann also die Zählung einzelner Schichten zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahr angesetzt werden, wie es Inventurverantwortlichen beliebt.
Stefan Raab hätte dieses Verfahren im Spiel nicht geholfen, denn eine Schale gleichpreisiger Äpfel entspricht leider nicht einer gängigen Lagerstruktur. Das Pareto-Prinzip findet in diesem Fall also keine Anwendung. Des Kandidaten Leid ist des Zuschauers Glück: So bleibt das Schätzen im Fernsehen wenigstens spannend.
Zählen Sie noch alle Artikel oder schätzen Sie schon mit der Stichprobeninventur?